Ines Lehmann
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Ausstellungen

Werke

Texte

Kurse

Vita

Kontakt

 

aus:

„Meine Damen und Herren, haben Sie einen begrenzten Horizont?

Ich habe nicht „engen“ gesagt , sondern „begrenzten“.

Also? Denken Sie mal kurz darüber nach! Über mögliche Grenzen Ihres Horizonts! Ich meine jetzt nicht ein Brett vor dem Kopf, so was nicht. Eher: Grenzen, Barrieren, Hürden – ein unfähiger Chef, der einem vorgesetzt ist, ein nervender, nörgelnder, eitler Kollege, der mich aus unerklärlichen Gründen auf der Karriereleiter überholt. Denken Sie an Massentourismus, der die schönsten Ausblicke auf die schönsten Sehenswürdigkeiten durch drängelnde, lärmende, selfiewütige Touristen versperrt. Denken Sie an die Werbebeklebung auf der Straßenbahn, die mich durch Pixellandschaften hinauszuschauen zwingt, denken Sie an geflickte Netze, in denen der Himmel gefangen ist. Denken Sie …. an die alltäglichen Begrenzungen Ihres Horizonts.

Da ich mich wie gesagt vorbereitet habe, bin ich durch die Bilder von Ines Lehmann auf den Horizont gekommen. Das ist der eine Schwerpunkt, wie das tagelange Betrachten der Bilder ergeben hat. Und dann fragt man sich: Wieso lässt es der Horizont zu, sich zu begrenzen oder einengen? Ganz einfach: Er muss. „Horizon kyklos“ auf Altgriechisch ist der begrenzte Kreis, da leuchtet es ein. Die deutsche Variante „Gesichtskreis“, die Philipp von Zesen im 17. Jahrhundert eingeführt hat, wird zum Glück nicht mehr verwendet. „Ich erweitere meinen Gesichtskreis“ hört sich wirklich bescheuert an.

Es gibt einen natürlichen Horizont, einen mathematischen, einen nautischen, das ist der natürlich Horizont am Meer, einen optischen, einen künstlichen und auch einen Radiohorizont. Und dann gibt es laut Einstein eine horizontfreie Zone. Er sagte: „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius „0“ und das nennen sie ihren Standpunkt.“ Auf Englisch heißt übrigens der begrenzte Horizont „limited horizon“, limitiert sind die Horizonte also. Schnell, meine Damen und Herren, schnappen Sie sich einen, bevor es zu spät ist!

Der zweite Schwerpunkt meiner tagelangen Beschäftigung mit den Bildern färbte sich allmählich blau. „Ins Blaue“, der Titel dieser Ausstellung führte mich zu folgenden Erkenntnisse. Ich lasse jetzt mal den alkoholischen Zustand „blau“ weg und konzentriere mich auf das Blau als Symbol für das Ungewisse, Unklare – so wird es im Wörterbuch der Brüder Grimm erklärt. „Ins Blaue hinein“ bedeutet dort „ins Weite“, „ins Nebelhafte“. Der Ursprung dieser Bedeutung des Blauen vermutet man in dem Ausdruck „ins Blaue schießen“, was vergebliche Kritik üben bedeutet und seit dem 18. Jahrhundert im Gebrauch ist. Die naheliegende Erklärung ist, dass man in den blauen Himmel schießt statt das Ziel zu treffen – es ist also sinnlos. Das Blau des Himmels, der weit entfernt ist und ein ungewisses Ziel darstellen würde, könnte dann zu dem Ausdruck „ins Blaue fahren“ geführt haben, mit der Bedeutung: ins Ungewisse, ohne Ziel. Neben dem Himmel als Blau-Spender für die Redensart gibt es weitere Interpretationen. Der Physiker würde sagen: Weit entfernte Objekte sind in Blautöne gefärbt, weil die anderen Lichtfarben stärken in der Atmosphäre resorbiert werden (das Phänomen der blauen Berge). Der Botaniker würde ausführen: Früher wurden große Flächen Flachs angebaut, eine Pflanze, die blau blüht, so hatte man oft blaue Landschaften bis zum Horizont.

Ins Blaue bis zum Horizont und dann mal weiter sehen...“ (September 2016)

--------------------------------------------------------------------------------------------------------

Bistra Klunker zu „ins Blaue“

zu:

Geliebter Alltag“ Malerei, Grafik, Objekte von Ines Lehmann

Kartoffeln schälen, kochen, sauber machen, Wäsche waschen, bügeln, aufräumen… Routine eben, Tag für Tag. Da ist wohl selten Jubelgeschrei zu hören – obwohl uns dabei ein ganzer Stab technischer Errungenschaften behilflich ist. Wie wertvoll so ein Alltagstrott sein kann, begreifen wir wahrscheinlich erst, wenn etwas Unerwartetes, Krankheit oder Altersgebrechen die Normalität durcheinander wirbeln.

„Geliebter Alltag“, so der Titel der neuen Ausstellung von Ines Lehmann im Stadtarchiv, ist eine phantasievolle Liebeserklärung an den Alltag mit all seinen Mühen und Freuden.

Zeichnungen in der Größe von Küchenfliesen halten die Selbstverständlichkeit und Schönheit von alltäglichen Bewegungen fest, über die nicht nachgedacht werden muss und die es ermöglichen, sich zu sammeln.

Das Gewohnte dient der Künstlerin als Ausgangspunkt für neue Ideen. „Während sich meine Hände mit Vertrautem beschäftigen, sind die Gedanken frei, sich zu tummeln“, bekennt Ines Lehmann. „Plötzlich kann ich ein Erlebnis, das ich seit Tagen mit mir herumtrage, einordnen. Auf einmal fällt mir ein, wie ich am besten an ein lange hin und her überlegtes Thema herangehen kann oder mir wird klar, wie ich mich in einer schwierigen Frage entscheiden werde. Auch sehe ich manchmal die Dinge um mich mit neuen Augen und ich habe Freude daran.“

Von der Freude am Entdecken und Ausprobieren zeugen Arbeiten in Öl und kleinformatige Kreidezeichnungen, die in dieser Ausstellung zu sehen sind.

Die Künstlerin hat sich dem Thema „Alltag“ über verschiedene Techniken genähert. Herrentaschentücher wurden mit Motiven von alltäglichen Bewegungen bestickt und teilweise vergoldet. Das Gold steht hier für die Kostbarkeit des Augenblicks. Überraschendes findet man auch bei den Keramik-Objekten. Unter ihnen gibt es solche, die aussehen, als entstammten sie einer archäologischen Grabung – ein Hinweis darauf, dass uns Alltagstätigkeiten schon seit Urzeiten am Leben erhalten. Andere Objekte sind so geformt, dass sie einem sofort als „unpraktische“ Gegenstände auffallen – denn Alltag ist viel mehr als nur berechenbare Effektivität. (März 2012)

---------------------------------------------------------------------------------------------------------

„Geliebter Alltag“
aus:

„...Aber was bedeutet das und was zeigen uns diese abstrakten Bilder?

Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Sie sehen es, wenn sie das Bild anschauen. Das ist es schon, denn in Ihrer Wahrnehmung des Bildes ist schon alles enthalten – nichts weiter...“ (Dezember 2005)

---------------------------------------------------------------------------------------------------------

Sven Mahr  zu „Unverhoffte Heiterkeit“

aus:

V E R N I S S A G E INES LEHMANN St.-Marien-Krankenhaus 1998

Als ich das erste Mal die Arbeiten von Ines Lehmann sah, fiel mir spontan als Stichwort „Herbst“ ein. Dieser Jahreszeit ist eine Dynamik inne, wie sie kaum eine andere erreicht. Da wirbeln heftige Windstöße Blätter durch die Luft, da werden die kahlgewordenen Bäume in ihren Kronen geschüttelt und heftig hin und her gebogen, da fällt Regen wie eine Schraffur, Nebelschwaden verhüllen gleichsam die Landschaft, das Laub steigt in Wirbeln auf und wird zuletzt zu Bergen in Hausecken und Sträuchern zusammengefegt. Bei all diesem Naturschauspiel ist viel Bewegung im Spiel, aber auch viel Farbe, die Farben des Herbstes nämlich: Goldgelb, allerlei Brauntöne, leuchtendes Rot. Alle Tönungen und Färbungen unterstreichen noch die Dynamik und Bewegung der Elemente.

All das oben Beschriebene finde ich in den Blättern von Ines Lehmann wieder. Viel Bewegung, viel Spannung, aber auch die Suche nach Ausgleich, Ruhepunkten spricht aus den gestisch aufgetragenen Farbelementen. Die Arbeiten sind geprägt von einem Pendeln zwischen Emotionalität und Rationalität. Auf der einen Seite wird ein heftiger gestischer Farbauftrag mit Kraft und Drängen, in Schwüngen, Flecken und an Archaisches erinnernde Formen, dann aber werden auch zarte Linien eingeführt, die teilend, differenzierend oder zusammenführend wirken. Die Farbgesten werden so umfaßt, eingespannt, teilweise geteilt und schraffiert von schwarzen bzw. dunklen Lineaturen, Netze werden gespannt, Gespinste von strukturierungen werden auf den Blättern ausgebreitet und geben so dem Gestischen Halt, Bindung und gestalten zwingend die gefundene Form. Die Künstlerin bevorzugt eine Farbigkeit, die sich stark am Rot und Schwarz und den sich daraus ergebenden Mischfarben orientiert, jedenfalls sehr erdverbundenen Tönungen, warm wirkend und das Archaische der Formfindungen unterstreichend.

Ines Lehmann erarbeitet sozusagen aus Formen und Farben Spannungsfelder. Felder für Assoziationen ohne Einschränkungen, dialoghaft und vielleicht sogar theatralisch angelegte Blätter, in denen Beziehungen ausgelotet und die eigenen Erfahrungen eingebracht werden können. Deshalb tragen die Blätter auch meist keine Titel. Die Künstlerin sagt: „Das Bild entsteht zweimal, einmal bei mir im Atelier mit all meinen Gedanken und Empfindungen und ein zweites Mal, wenn der Betrachter davorsteht, mit all dem, was ihn bewegt, beschäftigt, was er einbringen will und kann.“

Die Arbeiten entstehen in einer schnellen Technik. Hierbei spielen Leinöl als Malgrund auf Papieren, Pigmente, Graphitstifte und Kreiden die entscheidende Rolle. Das Bild verändert sich bei der Arbeit. Der Prozess ist sozusagen fließend, und die Künstlerin gibt den Veränderungen, die sich aus dem Zusammentreffen der verschiedenen Materialien ergeben und dem zufall, der dabei eine Rolle spielt, ganz bewußt Raum. So entsteht aus dem Zusammenwirken von Zufallselementen mit gesetzmäßigen Einflüssen das künstlerische Werk.

„Kunst vermittelt den Begriff der Freiheit.“ Dieser Satz von Willi Baumeister scheint in besonderer Weise auch auf die künstlerische Arbeit von Ines Lehmann zuzutreffen. In ihrem Ringen mit Farbe und Form, dem Gestischen mit dem Strukturellen, in dem Verständnis, Kunst als Prozess der immerwährenden Veränderung zu sehen, wird der Versuch sichtbar, ein Stück von Freiheit zu erringen.

Nicht zuletzt wird dies auch in der Biografie der Künstlerin deutlich. Abendstudium an der HfBK Dresden, Kunst-Therapie wiederum an der HfBK Dresden, das wohl auch wichtige Impulse gab, und nun der Versuch, die eigene künstlerische Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen, zeigt, daß hier ein Weg beschritten werden will, der sehr nachhaltig den oben genannten Begriff der Freiheit erkunden möchte.

Wünschen wir der Künstlerin dabei gutes Gelingen!

17.11.98 Günter Schöttner

Günter Schöttner zu „unbenannt“

zum Seitenanfang
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

copyright (c) 2017 Ines Lehmann. Alle Rechte vorbehalten